Wie ein Teenie
CAMPO Gazzetta N° 1→
Von Sophia Fries
CAMPO in der Zwischennutzung: Das ist wie ein Teenager im Kleid eines Seniors. Unsere Mitarbeiterin Sophia Fries erzählt, was sie in den ersten Monaten vor Ort erlebt und bewegt hat.
Auch wenn ich mittlerweile längst aus dem Alter heraus bin, erinnert mich meine Arbeit im CAMPO immer mal wieder daran, wie es sich anfühlte, Teenager zu sein. Wie ich schwamm im Zwischenraum zwischen Kind und Erwachsenem, wie ich zeitweise etwas verloren in den tausend Facetten von möglichen Identitäten nach der meinen suchte. Die Erinnerung daran holt mich dann ein, wenn ich gefragt werde, was denn mein Job hier sei. Dann mutiere ich wieder zur unsicheren Halbwüchsigen, suche nach dem richtigen Begriff für das, was ich hier tue. Sobald ich auszuholen beginne, schlüpfe ich in Rollenbeschriebe wie Teenager in neue Klamotten. Stets auf der Suche nach einem Ich, das sich passend anfühlt. An manchen Tagen werde ich zur «Bezugsperson zum Quartier», an anderen zur «Kunstvermittlerin in einer Zwischennutzung», dann zur «Künstlerin mit einer ortsbezogenen Praxis». An anderen Tagen verwandle ich mich zur hauptberuflichen E-Mail-Beantworterin, zur angestellten Nachbarin, Konzepterin, Handwerkerin, Managerin oder auch gleich mal zur Transportunternehmerin.
Das Pendeln zwischen Bestand und Zukunft, zwischen befristeter Gegenwart und grossen Bauplänen macht CAMPO für den Moment zum Zwischenraum. Noch etwas unbeholfen, manchmal auch hin und hergerissen, verwirrt, was Zweck und Inhalt angeht, oder eben: noch auf der Suche nach dem wahren Ich. Wie ein Teenie in der Pubertät eben. Und CAMPO hat noch viel zu lernen. Zeitmanagement zum Beispiel. Oder einen Umgang mit dem oft schwer absehbaren Aufwand, welcher Beziehungsarbeit mit sich zieht.
Ein Haufen vertrockneter Blätter So folgt auf einen ruhigen Sommer ein voller Herbst, auf eine Mail manchmal lange keine Antwort. Ebenfalls keine Seltenheit: Ein erstes unverbindliches Treffen, das zu einem umfangreichen Projekt wird oder zu einer längerfristigen Zusammenarbeit.
Ich kann mich noch gut erinnern, als wir zu viert als Team in den Räumen im ersten Obergeschoss standen und uns Gedanken zu möglichen Nutzungen machten. Damals waren die Räume noch leer und ihre Nutzungen unklar. Die Teppiche mieften und neben uns lag ein Haufen vertrockneter Blätter. Ein Überbleibsel einer Zimmerpflanze, welche im Büro der ehemaligen Hauptmieterin Hexis gestanden haben musste.
Wir skizzierten Pläne und Konzepte. Wir überlegten uns, was die sinnvollste Lösung sein könnte, um diesem Ort zwischenzeitlich wieder Leben einhauchen zu können, formulierten Ziele. Die Konzepte erwiesen sich alsbald als obsolet.
Nach einem Besuch von Tobias Jordi von der Genossenschaft Holzlabor ging es fast wie von selbst – die Neuigkeit nach mietbarem Raum im CAMPO machte schnell die Runde. Zwei Künstler:innen zogen schon im Sommer ein und bauten sich ihr Atelier genau so, wie sie es am besten brauchen konnten.
Und auch das Untergeschoss ist mittlerweile gefüllt mit Werkstätten, Ateliers sowie einem Sammelplatz für Fenster, die später als Hilfsgüter in die Ukraine verfrachtet werden. Die Genossenschaft Holzlabor folgt dann mit seiner grossräumigen Wagenbauinfrastruktur Anfang nächstes Jahr. Sie zieht in die abgetrennte Halle ein, in der im Moment noch Registrierungsarbeiten durch Sammlungsmitarbeiter:innen vorgenommen werden. Und dann all die Mieter:innen, die schon lange vor uns das Haus bewohnten: Die Privatschule Filasez, die Stadtharmonie WinterthurTöss, eine Arabischschule und Ateliers aller Art.
Trial and Error
Hinter dicken, transparenten Blachen arbeiten Restaurator:innen fleissig an Objekten aus der SKKG-Sammlung. Die Ganzkörperanzüge mit Sauerstoffmasken, die aufgrund der schadstoffbelasteten Objekte unabdingbar sind, sowie die überdimensionierten Staubsaugerrohre und das anhaltende Dröhnen der Lüftung erinnern mich dabei mehr an Szenen aus ScienceFictionFilmen als an den Alltag eine:r Restaurator:in – aber was weiss ich schon von diesem aufwendigen Handwerk?
Die Ganzkörperanzüge mit Sauerstoffmasken, die aufgrund der schadstoffbelasteten Objekte unabdingbar sind, sowie die überdimensionierten Staubsaugerrohre und das anhaltende Dröhnen der Lüftung erinnern mich dabei mehr an Szenen aus ScienceFictionFilmen als an den Alltag eine:r Restaurator:in – aber was weiss ich schon von diesem aufwendigen Handwerk?
Es erstaunt mich immer wieder aufs Neue, wie viel in den letzten Monaten schon zusammengekommen ist an diesem äusseren Rand von Winterthur. Obwohl CAMPO noch mitten in seiner Entwicklung steckt, lernt CAMPO viel durchs Machen, übers Echo von aussen, über all die involvierten Akteur:innen.
Diese Kombination von «Trial and Error» oder anders gesagt: die Offenheit gegenüber erfahrungsbasierten Prozessen scheint sich gut zu bewähren. Auch die CAMPO Cantina ist ein Produkt dieser Haltung. Um Beteiligung ermöglichen zu können, sollte zunächst eine Infrastruktur als «Setzung» fürs Zusammenkommen geschaffen werden. So wurden Chromstahlplatten, Stromkästen und Schränke, die noch die Hexis benutzte, kurzerhand aus dem Untergeschoss ausgebaut und in der ehemaligen Produktionshalle zu einer Küche zusammengesetzt. Die nötigen Küchengeräte dafür erwarben wir alle aus zweiter Hand, über Ricardo und Co. Manchmal fuhren wir dafür einen ganzen Tag durch die Schweiz und erhielten so immer wieder Einblicke in Wohnungen, das Zuhause und die Lebensweisen von Fremden.
Dass Gegenstände Menschen formen und berühren, dass Sammeln menschlich ist, merke ich immerwieder von Neuem, wenn ich durch diese Plattformen scrolle. Heute ist die Küche voll funktionsfähig. Nach offizieller Inbetriebnahme isst zweimal wöchentlich eine Gruppe Schüler:innen der Filasez in der Halle zu Mittag. Unter den imposanten Kronleuchtern, die noch zum Bestand von Schloss Brestenberg gehörten (das Schloss Brestenberg ist im Besitz der SKKG), lernen die Kinder, Gäste zu sein und werden dabei gleich selber zu Gastgeber:innen. Wenn sich das Team der Restaurator:innen dazugesellt, Mitarbeiter:innen der SKKG, manchmal auch andere Mieter:innen des Hauses oder Handwerker:innen, dann füllt sich die Halle mit Stimmen und dem Duft von Essen – und ich merke, dass das hier schon ziemlich nah dran ist an einem ganz besonderen Zusammenleben.
Erste Male
Nach dem langen Leerstand ist es schön, dass plötzlich so viel läuft in der ehemaligen Brennstoffzellenproduktionsfabrik. Und klar, dabei gehört es zu unserer Aufgabe, immer wieder abzuwägen: Passt diese Idee zu CAMPO? Ist sie mit den vorhandenen Ressourcen umsetzbar? So können unsere beschränkten Kapazitäten auch mal zu zeitlichen Verzögerungen führen und uns zu pragmatischen Lösungen zwingen. Dass das die Euphorie des einen oder anderen dämpfen mag, der gerne gleich mitanpacken möchte, ist verständlich. Trotzdem sind solche Situationen für CAMPO und auch für uns als Team wertvoll und lehrreich und führen uns weiter im Prozess Richtung Erwachsenwerden. Vieles machen wir zum ersten Mal, und trotz all der Missgeschicke und Herausforderungen, die wir passiert haben und die noch vor uns stehen, wächst die Idee CAMPO kontinuierlich weiter.
«Wir haben hier einfach kein dichtes Haus», sagte Mirjam, die Projektleiterin des Registrierungsprojekts, nachdem die Decke im Untergeschoss tagelang tropfte, weil ein zu ambitionierter Reinigungsfachmann eimerweise Wasser auf den schmutzigen Hallenboden kippte. Das scheint für mich die erste, wirklich passende Beschreibung für meine Sicht auf CAMPO zu sein: CAMPO ist ein Ort mit durchlässigen Wänden, Türen, Decken, mit grossen Poren und kleinen Pickeln, der noch lange nach seinem wahren Ich suchen wird. Wo Begegnungen nicht forciert werden müssen, sondern einfach passieren, zwischen Stuhl und Bank, im Treppenhaus oder weil man gerne seine Umgebung mitgestaltet und formt.
Sophia Fries arbeitet als Künstlerin und Vermittlerin in Kontexten, wo Institution auf Gesellschaft und Kultur auf Alltag treffen. Als Mitarbeiterin im Projekt CAMPO ist sie Bezugsperson ins Quartier, knüpft und unterhält Beziehungen und spielt die Bedürfnisse der Umgebung in die Stiftung zurück.